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Ich kaufe (zu viel), also bin ich (etwa kaufsüchtig?)

Ein ganzes Zimmer voller Einkäufe

Immer wieder stoße ich bei meiner Arbeit auf Tüten mit Einkäufen: sauber verpackt, unberührt, oft sogar mit Preisschild.
– „Sind das Geschenke?“, frage ich manchmal.
– „Nein“, heißt es dann, „das hab ich mal gekauft, aber nie ausgepackt.“

Was mich zunächst irritierte: Oft handelt es sich nicht nur um eine Tüte, sondern um Dutzende! Oder gleich um ein ganzes Zimmer voll mit Dingen, die nie benutzt wurden!
Ich muss gestehen: Lange Zeit konnte ich das nicht verstehen. Diese Einkäufe kosten Geld, Zeit, Kraft – und nehmen wertvollen Platz in der Wohnung ein. Wozu der Stress?

Auch unsere Küche wurde immer voller

Letztes Jahr wurde mir eine Nahrungsmittelunverträglichkeit diagnostiziert. Von heute auf morgen durfte ich 90 % der Dinge aus dem Supermarkt nicht mehr essen. Keine Fertigprodukte mehr? Keine schnellen Snacks?
Nach einer kurzen Phase der Frustration fing ich an, gezielt Lebensmittel zu kaufen, die ich gut vertrug. Ich schleppte sie durch die Stadt und verstaute sie irgendwo in der Küche – meistens vergaß ich sie dann.
Unsere Küche wurde immer voller. Und voller.
Und anstatt auszumisten, brachte ich immer neue Lebensmittel nach Hause.
Was war mit mir los?
War ich plötzlich kaufsüchtig?
Und wenn ja: Wie konnte das passieren?

Das beruhigende Gefühl beim Einkaufen
In dem Moment, als ich mir diese Frage stellte, fiel mir etwas auf: Auch meine Kund*innen mit den vielen, ungenutzten Einkäufen hatten etwas Einschneidendes erlebt, das sie zutiefst verunsichert hatte: eine Krankheit, ein Jobverlust, finanzielle Unsicherheit.
So wie ich, hatten auch sie begonnen, Vorräte anzulegen. Manche wollten sich Dinge sichern, die es bald nicht mehr geben könnte. Andere kauften aus Angst, sich morgen nicht mehr das leisten zu können, was heute noch möglich war.
Und so ich vergaßen sie die Einkäufe, kaum dass sie zu Hause waren.
Denn das beruhigende Gefühl lag im Kaufen selbst! Im Moment des Kaufs fühlte sich alles gut an – sicher, vorgesorgt, vorbereitet: Ein Rausch.

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Den Kreislauf durchbrechen

Der Kaufrausch selbst hält zwar nicht an, sehr wohl aber, das Bedürfnis, ihn wieder zu spüren: Also folgt der Drang, wieder etwas zu kaufen. Wieder Sicherheit zu schaffen.
Als ich diesen Denkvorgang bei mir erkannte, konnte ich bewusst gegensteuern.
Ich entwickelte Gedanken, die mich bremsten:
– „Das hast du schon zu Hause.“
– „Das schmeckt dir eigentlich gar nicht.“
– „Dafür ist kein Platz im Schrank.“
Weil ich mein Verhalten früh erkannt habe, fiel mir die Umstellung relativ leicht.
Und ich glaube, vielen anderen geht es ähnlich:
Wenn wir unser Einkaufsverhalten erst einmal bewusst wahrnehmen, können wir es auch verändern.
(Zu diesem Thema hat meine Kollegin Katrin Misere übrigens einen sehr hilfreichen Blogartikel geschrieben – mit vier typischen Glaubenssätzen, die zu überflüssigen Einkäufen führen, und Tipps, wie man ihnen freundlich, aber bestimmt begegnet.)

Der Unterschied zur echten Kaufsucht

Aber: Eine Kaufsucht heißt nicht ohne Grund Sucht. Sie ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung. Das Kaufen selbst erzeugt ein Hochgefühl – besonders im Moment des Bezahlens.
Die ehemalige Kaufsüchtige Sieglinde Zimmer-Fiene beschreibt es so:
– „Beim Bezahlen rauscht das Blut wie wild durch den Körper.“
Einkäufe vermitteln kurzfristig Sicherheit, Anerkennung, sogar Geborgenheit.
Doch das Glücksgefühl wird immer kleiner – und die Erkenntnis, „Was soll ich nur mit all diesen Dingen?“ wird zur erdrückenden Last.
Betroffene geben nicht nur all ihr Geld aus, sondern verschulden sich oft zusätzlich.
Hier hilft kein Aufräumen mehr, sondern professionelle Hilfe.
Eine Therapie oder eine Selbsthilfegruppe ist der beste Weg, um aus der Abwärtsspirale herauszufinden.
Wer sich genauer mit dem Thema befassen möchte, dem empfehle ich das Buch
„Kaufsucht – Mein Leben durch die Hölle“ von Sieglinde Zimmer-Fiene.

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