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Der Messie-Mythos: Zwischen TV-Spotlight und Krankheitsbild

Das Telefon klingelt.

– „Sie müssen mir helfen, meine ganze Wohnung ist vollgestopft! Aber keine Sorge: Ich sammle keinen Müll, und es stinkt nicht! Ich bin ja kein Messie!“
In meinem Beruf als Aufräum-Fachkraft gibt es zwei Klassiker unter den telefonischen Hilferufen. Das war der erste.
Und der zweite?

– „Können Sie mir helfen? Bei mir ist alles so unordentlich. Ich bin ein richtiger Messie!“ Die Anruferin lacht.
Kundin 1 besteht darauf, kein Messie zu sein; Kundin 2 stellt sich die Messie-Diagnose hingegen gleich selbst. Doch aus keinem dieser Anrufe kann ich etwas ableiten.
Im ersten Fall handelte es sich ironischer Weise tatsächlich um das Messie-Syndrom, eine ernsthafte psychische Störung, die laut ICD-11, dem internationalen Diagnosekatalog, weltweit als Krankheit anerkannt ist. Im zweiten Fall war das Chaos der Kundin schlicht das Resultat von zu wenig Zeit, zu viel Arbeit und mangelnder Kraft, in der knappen Freizeit aufzuräumen.

Aber was ist eigentlich ein Messie?

Den Begriff „Messie“ hat ursprünglich eine Grundschullehrerin aus den USA erfunden: Sandra Felton, die sich 1986 scherzhaft selbst so bezeichnete. Umzingelt von Türmen aus Bastelmaterialien für ihre Grundschüler beschloss sie eines Tages, mit gezielten Strategien dem Chaos in ihrer Wohnung zu begegnen. Ihre Erfahrungen hat sie in Büchern verewigt und der Begriff „Messie“ war geboren – anfangs durchaus liebevoll gemeint!

Seitdem sind fast 40 Jahre vergangen und das ursprüngliche Synonym für kreative „Sammelliebe“ ist ein echter Schreckbegriff geworden. Heute fürchten viele, als „Messie“ zu gelten, wenn das Chaos in der Wohnung die Oberhand gewinnt und selbst dann keine Aktion folgt, wenn sich schlechte Gerüche breitmachen oder sich erste Ungeziefer als neue „Mitbewohner“ vorstellen. Der ursprüngliche Charme des „Messies“ ist längst verflogen.

Wie konnte das passieren? Gerade im Wissen, dass Messies psychisch krank sind, und nicht einfach faul und chaotisch, erscheint die Deklassifizierung des Begriffs geradezu fahrlässig.
Die Antwort scheint in der menschlichen Sensationsgier zu liegen, die von einigen Fernsehsendern früh erkannt wurde. So scheinen Sender wie RTL ein Faible für das Chaos in Wohnungen entwickelt zu haben. Formate wie „Das Horrorhaus der Messies“ fesseln Millionen von Zuschauern magisch an den Bildschirm.
Damit ist die Phrase „Du bist ja ein richtiger Messie!“ nicht nur zu einem geflügelten Begriff geworden, sondern auch zu einer Art Schimpfwort verkommen.

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Aber lassen wir die TV-Dramatik beiseite: Der Begriff „Messie“ hat inzwischen auch in Fachkreisen Einzug gehalten. Wer das „Messie-Syndrom“ diagnostiziert bekommt, gilt als ernsthaft krank und hat Anspruch auf Hilfe – sei es durch Therapien, Medikamente oder tatkräftige Unterstützung vor Ort.

„Ungeziefer hin oder her! Bin ich nun ein Messie, weil meine Wohnung im Chaos versinkt?“ –

Nicht so schnell! Denn nicht jeder Messie ist gleich – es gibt unterschiedliche „Messie-Varianten“. Außerdem können hinter dem Chaos in der Wohnung auch völlig andere Ursachen stecken, fernab vom „Messie-Syndrom“.

In meinem nächsten Blogpost möchte ich diesen Fragen auf den Grund gehen. Denn zehn Jahre Erfahrung als Aufräumhilfe haben mich gelehrt, dass es unendlich viele Geschichten hinter unordentlichen Wohnungen gibt.

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